Welche „Mehrheit“ darfs denn sein?

Wie viele Schwule gibt es – wer ist „die Mehrheit“?

Diese Frage taucht regelmässig auf – bei der Heterosexuellen „Mehrheit“. Nun gibt es zwei Kriterien, um dies zu beurteilen: Zum einen die „Homosexuellen“ als Gruppe und zum anderen „homosexuelle Aktivitäten“ von Männern. Da wird es schon schwieriger, diese Gruppe zu beziffern! Kinsey hat vor allem die homosexuellen Erlebnisse, die zu einem Orgasmus führten abgefragt und ist daher zu höheren Zahlen gekommen als üblich.

Normalerweise sieht ein Befragungs-Spektrum so aus, dass eine Anzahl einerseits sehr zustimmend und andererseits sehr ablehnend ist. Das Mittelfeld ist normalerweise das Grösste. Seltsamerweise ist das historisch-statistisch mit der sexuellen Orientierung ganz anders! Da gibt es die berühmten 2-5 % Homosexuellen, „ein paar Bisexuelle“ und mindestens 95 % Heterosexuelle. Doch diese Ansicht geht davon aus, dass das was sichtbar ist, oder getan wird, zugleich auch die „sexuelle Orientierung“ repräsentiert. Das ist völlig falsch und entspricht einfach nur der „social correctness“, die sich seit bald hundert Jahren immer wieder selbst bestätigt. Doch heute muss anders gefragt werden als damals und die Resultate sind zu hinterfragen.

„Was die Mehrheit und was die Homosexuellen selbst brauchen, ist die Möglichkeit, verlässliche Daten zu überprüfen, Ammenmärchen zu widerlegen.“ (Bell/Weinberg: Kinsey-Institut-Report über sexuelle Orientierung und Partnerwahl, 1980/81, S. 18)

Das schrieb das renommierte Kinsey-Institut in Zeiten, als es darum ging, diese sexuelle Orientierung vom Makel der psychischen Krankheit zu befreien. Doch Kinsey lieferte als erster Daten, die schon Jahrzehnte früher darauf hingewiesen haben, dass es sich unmöglich um eine Krankheit handeln konnte.

Die Krux liegt in der Sache selber: Wer würde sich freiwillig als „Homosexuellen“ bezeichnen – auch ohne staatliche Strafandrohung und moralische Verurteilung? Zudem haben viel mehr Männer homosexuelle Bedürfnisse als es Homosexuelle gibt…

„Viele Leute fühlen sich bei Mehrdeutigkeit jeder Art unbehaglich und geraten in Bedrängnis durch Forschungen, die die primitive Natur des heutigen Stands der Wissenschaft demonstrieren. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Widerlegung oder Anzweiflung seit langem akzeptierter Theorien eine wichtige Leistung ist.“ (Bell/Weinberg: Kinsey-Institut-Report über sexuelle Orientierung und Partnerwahl, 1980/81, S. 249)

Eine wichtige Erkenntnis der Pfadanalysen von Bell/Weinberg (1980/81) war die Feststellung, dass eine sexuelle Orientierung schon relativ früh bei Männern festgelegt ist. Damit wurde aber nichts ausgesagt darüber, dass sehr viele Männer zwar in ihrer Orientierung einigermassen klar sind, aber doch zu „Abwechslung“ und Experimenten neigen. Sehr viele praktizieren neben, oder trotz ihrer heterosexuellen Orientierung und Etablierung (mit Freundin oder Familie), noch eine homosexuell befriedigende „Erweiterung“ ihrer Erlebnisse. In einem geringeren Masse tun das auch Homosexuelle mit Frauen!

Ein weiterer Hinweis auf dieses grosse „mehr“, das zwischen homo- und heterosexuell liegt, gibt uns die Homophobie zahlreicher Männer – vor allem im öffentlichen Raum und in der öffentlichen Diskussion! Während Homosexuelle – in der Regel – ein coming out und irgendeine Art der inneren und äusseren Auseinandersetzung mit ihrer Orientierung „leisten“, sind Heterosexuelle in der Regel einfach „Nachahmer“. Alle tun es mit Frauen, also tue ich es auch…

Und weil die traditionelle „homosexuelle Phase“ in Kindheit und Jugend in den letzten Jahrzehnten der Liberalisierung der „vorehelichen“ Sexualität eher „weggefallen“ ist, fehlt vielen eine normale sexuelle „Begegnung mit dem gleichen Geschlecht“ (Onanieren, orale Befriedigung) aus dieser Zeit. Das führt dann im Erwachsenenalter (ab 18 J) zu diffusen Ängsten (Homophobie), die mit Aggressionen und Diskriminierung abgewehrt werden müssen. (Ähnliches kann auch bei jungen Männern und ihrem Verhalten gegenüber Frauen beobachtet werden: Gewaltreaktionen aus Unsicherheit…) Interessant ist, dass via Internetbereich sehr viele Männer ab 45 J. (wieder) homosexuelle Kontakte suchen. Gründe dafür können bisher nur vermutet werden: sexuelles Desinteresse bei ihren Ehefrauen, Rückgriff auf „verpasste“ Jugenderlebnisse, die damals abgelehnt wurden, um nicht als „schwul“ zu gelten… (Beobachtungen in 10 Jahren Internet Erfahrung)

Kinsey meldete aus seinen Befragungen in den 40er Jahren, dass aus seiner Zahl der „ledigen und verheirateten männlichen Bevölkerung“ (zwischen Pubertät und Greisenalter) 6,3 % der Orgasmen auf homosexuelle Kontakte zurückzuführen sind. Ebenfalls Beachtung schenke ich der Zahl der masturbatorischen Aktivitäten an sich selbst (inkl. die bemerkten nächtlichen Ejakulationen), die 24 % betrug. (siehe Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970, S. 567)

„Etwa die Hälfte der älteren Männer (48 %) und nahezu zwei Drittel (60 %) der Knaben (die ihre Berichte vor der Pubertät gaben) erinnerten sich an homosexuelle Betätigung in ihren Knabenjahren. Der arithmetische Mittelwert für das Alter beim ersten homosexuellen Kontakt beträgt etwa neun Jahre und zweieinhalb Monate (9,21 J).“ (Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970, S. 159)

Schon Kinsey kritisierte die ärztlichen und polizeilichen Definitionen und Einstufungen von „Homosexualität“ bei Männern! Er gibt auch eine interessante – teilweise bis heute gültige – Übersicht:

„Einige Männer, die regelmässig von anderen Männern fellatiert (1) werden, ohne jedoch selbst je eine Fellatio durchzuführen, können darauf bestehen, dass sie ausschliesslich heterosexuell sind und dass sie sich nie mit einer im wahren Sinne des Wortes homosexuellen Beziehung abgegeben haben. Ihr Gewissen wird erleichtert und sie können Schwierigkeiten mit der Gesellschaft und der Polizei durch das Erfinden der zusätzlichen Fiktion vermeiden, dass sie nicht in der Lage seien, bei Beziehungen mit einem Manne zu reagieren, es sei denn, dass sie sich dabei den Kontakt mit einer Frau vorstellen. Sogar ! Ärzte liessen sich durch derartige Vorgaben irreführen. Die tatsächlichen Berichte zeigen jedoch, dass – wenn überhaupt – nur wenige Fälle von sexuellen Beziehungen zwischen Männern mit einem anderen Terminus als dem der Homosexualität bezeichnet werden können. Viele Personen, die in ihrer Vergangenheit beträchtliche homosexuelle Erfahrungen aufweisen, konstruieren eine Rangordnung, auf Grund derer sie darauf bestehen, dass jedermann, der nicht im gleichen Ausmass wie sie selbst auf homosexuelle Erlebnisse zurückblicken kann, oder der weniger ausschliesslich auf homosexuelle Stimuli reagiert, „nicht wirklich homosexuell ist“. Es ist erstaunlich, wie viele Psychologen und Psychiater diese Art Propaganda akzeptiert haben und zu der Annahme gelangt sind, dass homosexuelle Männer und Frauen als etwas Gesondertes zu betrachten sind im Vergleich zu solchen Personen, die lediglich homosexuelle Erfahrungen haben oder zuweilen auf homosexuelle Stimuli reagieren. In manchen Fällen lässt eine derartige Interpretation jeweils nur zwei Arten von Männern und Frauen zu, nämlich jene, die heterosexuell sind und jene, die homosexuell sind. Wie das in diesem Kapitel (Homosexuelle Triebbefriedigung, S. 567-610) dargebotene Material zeigen wird, ist jedoch nur etwa die Hälfte der männlichen Bevölkerung in ihrem sexuellen Verhalten ausschliesslich heterosexuell, und es gibt nur einen geringen Prozentsatz, der ausschliesslich homosexuell ist. Jedwede Beschränkung des Terminus Homosexualität auf Personen, die ausschliesslich homosexuell sind, erfordert logischerweise, dass der Terminus heterosexuell nur auf ausschliesslich heterosexuelle Personen angewandt wird. Dies lässt fast die Hälfte der Bevölkerung unberücksichtigt, die mit Personen des eigenen wie auch des anderen Geschlechts entweder sexuelle Kontakte gehabt, oder doch psychisch auf sie reagiert haben. Man muss tatsächlich alle Kombinationen von Heterosexualität und Homosexualität in den Berichten verschiedener Personen berücksichtigen. Es würde dem klareren Denken über diese Dinge förderlich sein, wenn man Individuen nicht als heterosexuell oder homosexuell charakterisieren würde, sondern als Menschen, die ein gewisses Ausmass an heterosexuellen Erfahrungen und ein gewisses Ausmass an homosexuellen Erfahrungen aufweisen.“ (Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970, S. 574)

Kinsey hat als Erster die ganzen Statistiken, die vor ihm „zusammengebastelt“ wurden, durch wissenschaftlich ernst zu nehmende Daten ersetzt. Dabei hat er sich – von Haus aus Biologe – nüchtern auf „Orgasmenzählen“ beschränkt und alle anderen Kontakte unberücksichtigt gelassen, so dass der „erweiterte Lustwert“ der Homosexualität in der Gesellschaft durchaus höher eingeschätzt werden kann, wie er selber irgendwo anmerkt. Er weist auch explizit auf die Probleme der Datenerhebung hin!

„Diese niederen Werte stehen in auffälligem Gegensatz zu der Tatsache, dass die homosexuellen Kontakte in Wirklichkeit reichlicher als heterosexuelle auftreten könnten, wenn nicht soziale Hemmungen und persönliche Konflikte damit in Zusammenhang stünden. Die sexuellen Möglichkeiten des Durchschnittsmannes in seinen Zehner- oder Zwanzigerjahren werden wahrscheinlich häufiger von Männern als von Frauen ausprobiert und jüngeren Männern, die körperlich anziehend sind oder ein anziehendes Wesen haben, nähert man sich wahrscheinlich häufiger zum Zwecke homosexueller Beziehungen, als sie sich selbst je Frauen zum Anknüpfen heterosexueller Beziehungen annähern würden. Ein homosexuell erfahrener Mann könnte zweifellos eine grössere Anzahl von sexuellen Partnern unter Männern finden, als dies bei einem heterosexuell erfahrenen Mann gegenüber Frauen der Fall wäre. Es ist natürlich nur der erfahrene Mann, der weiss, dass homosexuelle Kontakte so frei zur Verfügung stehen. Das beachtliche Tabu, welches die Gesellschaft einer derartigen Betätigung und ihrer offenen Diskussion auferlegt, belässt die meisten Leute bezüglich der Möglichkeiten, durch die homosexuelle Kontakte gemacht werden können, in Unwissenheit; und sogar unter Männern, die homosexuelle Beziehungen wünschen, gibt es nur relativ wenige, die wissen, wie man sie in reichem Ausmass finden kann.“ (Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970, S. 589)

„Die Berichte, die für die gegenwärtige Arbeit zur Verfügung stehen, beweisen, dass die Heterosexualität oder Homosexualität bei vielen Personen durchaus keine Entweder-Oder-Angelegenheit ist. Zwar gibt es unter der Bevölkerung Personen, die eine ausschliesslich heterosexuelle Vergangenheit aufweisen, und zwar sowohl in Bezug auf ihre tatsächlichen Erlebnisse, als auch in Bezug auf ihre psychischen Reaktionen. Und es gibt Individuen, deren Vergangenheit ausschliesslich homosexuell ist, sowohl bezüglich der Erlebnisse, als auch in Bezug auf psychische Reaktionen. Jedoch zeigen die Unterlagen, dass es einen beachtlichen Anteil der Bevölkerung gibt, deren Mitglieder in ihrer Geschichte sowohl homosexuelle als auch heterosexuelle Erfahrungen und (oder) psychische Reaktionen aufweisen. Es gibt Individuen, bei denen heterosexuelle Erfahrungen überwiegen, bei anderen überwiegen die homosexuellen und wiederum bei anderen halten sich beide die Waage.“ (Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970, S. 595)

„Aus alledem sollte klar hervorgehen, dass für die Anerkennung von nur zwei Arten von Personen, heterosexuellen und homosexuellen, keinerlei Berechtigung besteht und dass die Charakterisierung der Homosexualität als „Drittes Geschlecht“ den Tatsachen in keiner Weise entspricht.“ (Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970, S. 601)

Ich kann zusammenfassen und unter Bezug auf Kinseys wissenschaftlich akribische Datenerhebung darauf hinweisen, dass es längst unzureichend ist, Menschen nach ihrem äusseren Verhalten eine sexuelle Orientierung zuzuschreiben. Kinsey zieht den Begriff „homosexuelle Aktivitäten „einer Definition von „Homosexuellen“ weitaus vor! Das hat ihm in den 40er Jahren schon erlaubt, seine bekannte „Skala“ der Verhaltensweisen „zwischen drin“ aufzustellen. Immerhin geht er von 50 % von Männern aus, die klar nicht ausschliesslich heterosexuell empfinden. Das wäre mal ein Anfang. In Anrechnung der enttabuisierenden Entwicklung bis heute, sind die Zahlen wohl grösser und nicht kleiner geworden!

„Homosexualität ist ein Anti-Wort. d.h. man kennt es als Gegensatz zu „Heterosexualität“. Das Wort „heterosexuell“ wird jedoch so gut wie nie zur Beschreibung eines Menschen verwendet. Ein Mann gilt von vornherein als heterosexuell, ausser, man setzt das Adjektiv „homosexuell“ (d.h. anders) vor seinen Namen. Die Haltung, die aus dem Geschlecht einen Fetisch macht, ist überholt. Sie entwickelte sich aus der Definition von „Sex“ als einer zum Zwecke der Vermehrung dienenden Aktivität.“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (I), 1978/1991, S. 750 / (II) S. 300)

Vielfach gibt es unter heterosexuell orientierten Männern gewisse Schranken in den gemeinsamen Sexaktivitäten: Kussverbot, keine passive anale Penetration, keine Gefühlsäusserungen, am besten Anonymität und Flüchtigkeit gegen Bindungsansprüche.

„Vier Prozent der in dieser Untersuchung (Hite, 1978) befragten Männer (plus zusätzlich zwei Prozent, die der Statistik über Männer, die Sex mit anderen Männern bevorzugten, zugeordnet worden sind, hatten und genossen Sex mit beiden Geschlechtern, mit Männern und Frauen.“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (I), 1978/1991, S. 783 / (II) S. 333)

Also bei bei heterosexuell Orientierten wagten sich 4 % ans gleiche Geschlecht heran, während sich nur 2 % der homosexuell Orientierten ans andere Geschlecht wagten.

Masters/Johnson (1982/1987) zitieren Kinsey (1948) zur „Bisexualität“ wie folgt: „dass 9 Prozent der unverheirateten dreissigjährigen Frauen als bisexuell eingestuft werden könnten, gegenüber etwa 16 Prozent bei der entsprechenden männlichen Vergleichsgruppe. … wir (M/J) vermuten, dass sie in unserer Gesellschaftsform real weniger als 5 Prozent ausmacht.“ (Masters/Johnson: Liebe und Sexualität, 1982/1987, S. 407)

Masters/Johnson misstrauen also den Daten Kinseys und vermuten lieber nur… Damit bleiben aber die „Übrigen“ unberücksichtigt, die weder ganz homosexuell, heterosexuell oder ganz bisexuell sind…

In diesem Zusammenhang interessant sind auch die Informationen von M/J aus dem Bereich der Kindersexualität…

„In einer Studie (aus Kinsey zitiert, P.Th.) über Kinder zwischen vier und vierzehn Jahren berichteten 35 Prozent der Mädchen und 52 Prozent der Jungen von irgendwelchen homosexuellen Spielen.“ (S. 145)

Masters/Johnson weisen auch auf das schwindende Erinnerungsvermögen erwachsener Befragter hin, das Ernest Bornemann in seinen Untersuchungen zur Sexualität der Kinder festgestellt und beschrieben hat. („pubertäre Amnesie“)

Aus der Adoleszenz berichten M/J (1982/1987):

„In jüngerer Zeit scheint gleichgeschlechtliche Aktivität unter Jugendlichen geringfügig abgenommen zu haben. Sorensen stellte fest, dass nur 5 % der  13-15jährigen Jungen, 17 % der 16-19jährigen Jungen jemals homosexuelle Erlebnisse hatten. Nur 6 % sämtlicher weiblicher Jugendlicher hatte mindestens einmal homosexuelle Erlebnisse.“ (S. 169/170)

„Hass berichtete 1979, dass 11 % der weiblichen Teenager und 14 % der Jungen seiner Studie mindestens eine sexuelle Episode mit einer Person des gleichen Geschlechts angaben, bemerkte jedoch, dass dies wahrscheinlich zu gering angesetzt sei, da zahlreiche Probanden „prä-adoleszente Spiele“ nicht als Geschlechtsakte ansahen. (S. 170)

M/J erklären, dass solche Erlebnisse nicht zwangsläufig zu homosexueller „Fixierung“ führen würden, jedoch würden sie von den  Betroffenen auf unterschiedliche Weise verarbeitet. (> S. 171)

„Selbst die Verteidigung der Heterosexualität (als die „einzige“ natürliche Form von Sexualität), als die Basis der Familie, kann aufgrund historischer Tatsachen hinterfragt werden. Die frühesten „Familien“ waren keine „heterosexuellen“ Kleinfamilien, wie wir sie kennen, sondern schlossen Mutter, Schwestern, Brüder, Tanten Onkel usw. in einer losen Gruppe zusammen. Es gab keinen „Vater“ , und die Beziehungen zwischen Mutter und Kind waren keineswegs so elementar, wie wir heute annehmen; Tatsache ist, dass Kinder, Mütter und Schwestern oftmals nicht wussten, wem welches Kind gehörte… Das frühe Indogermanisch verfügte über kein Wort für „Vater“ und Jahrhunderte lang war es nicht bekannt, dass Geschlechtsverkehr die Ursache für Schwangerschaft ist. Während dieser Jahrhunderte war die Grossfamilie eine überlebensfähige soziale Einrichtung…“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (2), 1978/1991, S. 290)

(Männer, die sowohl mit Frauen, als auch  mit Männern Sex haben – Hite zitiert aus Briefen)

„Nirgendwo in dieser Gesellschaft wird Bisexualität als das Ergebnis einer offenen, gültigen und akzeptablen Wahl behandelt. Meine schwulen Freunde sind verärgert, weil ich noch halbmännlich bin, und meine „normalen“ Freunde warten darauf, dass ich wieder zur Vernunft komme. Sie sprechen von Entfremdung.“

„Aufgrund meiner Beziehungen sowohl zu Männern als auch zu Frauen bestehen die anderen darauf, mich in eine bestimmte Schublade zu stecken. Für einige bin ich ein verkappter Homosexueller, der seine Beziehungen zu Frauen lediglich deshalb unterhält, weil er seine wahre Persönlichkeit vor der Aussenwelt und gegenüber sich selbst verbergen will. für andere bin ich ein Heterosexueller, der durch irgendeine Kindheitserfahrung einen Knacks gekriegt hat. In Wahrheit bin ich ein Mensch, der Spass daran hat, intime Erfahrungen mit anderen Menschen zu machen, mit Menschen, für die ich Freundschaft, Liebe oder Mitgefühl empfinde. Wenn ich deswegen mit dem Wort „bisexuell“ etikettiert werde, enttäuscht mich das.“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (2), 1978/1991, S. 332)

„Obwohl wir beide heterosexuell sind, setzen wir unsere Beziehung (seit der Highschool, pt) fort. Alle zwei bis drei Monate haben wir Sex. Es ist seltsam, aber hinterher fühle ich mich immer heterosexueller als jemals zuvor. Ich fühle mich, als wenn ich meine Freundin bräuchte, und in Wirklichkeit brauche ich meinen Freund. .. Weder John noch ich betrachten uns als schwul. Ich zweifle, ob irgendein andere es tun würde.“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (2), 1978/1991, S. 337/338)

Sehr schön beschreibt Hite als Frau das, was Männer gerne an „gemeinsamer Homosexualität“ ausblenden:

„Auf eine gewisse Art finden auch unter Männern sexuelle Beziehungen statt, wenn sie untereinander über Sex mit Frauen reden, sich Pornographie gemeinsam ansehen oder zusammen in eine Oben-ohne-Bar gehen. Sie geniessen gemeinsam Sex und gehen eine Form von sexueller Bindung ein. Sind Gefühle für einen anderen Mann „homosexuell“? (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (1), 1978/1991, S. 751 / (2) S. 301)

Als Schwuler ziehe ich sexuelle Realität allen verklemmten Kumpaneien, Brüderschaften, Saufgemeinschaften vor! Heute suchen sich heterosexuelle Männer im Internet für ganz bestimmte sexuelle Aktivitäten miteinander, für die weder in den Aktivitäten der Frauen Platz ist, noch wofür Frauen je Verständnis hätten: Gemeinsam wixen und geniessen – auch wenn mann dabei heftigst an Frauen denkt!   Peter Thommen, Schwulenaktivist, Basel

1) geblasen

 

Ergänzung am 22.3.09

„Nach einer Umfrage aus New York hatte fast jeder zehnte Mann im Big Apple, der sich selbst als heterosexuell bezeichnet, in den vergangenen zwölf  Monaten ausschliesslich Sex mit Männern. 70 Prozent von ihnen waren sogar verheiratet. Insgesamt bezeichneten sich 91,3 Prozent der Befragten als heterosexuell, aber nur 70,6 Prozent gaben an, im Jahr vor der Befragung Sex ausschliesslich mit Frauen gehabt zu haben. Das führte zu der erstaunlichen Zahl, dass sich zumindest in New York doppelt so viele Pseudoheteros wie Schwule tummeln. Mehr als 8 Prozent aller Männer leben demzufolge mit einer verzerrten sexuellen Selbstwahrnehmung.“ (Hegmann, Eric: Jungs in Beziehungskisten, Gmünder 2007)**

**Die Studie, auf die sich Hegmann bezieht: Dr. PH Preeti Pathela: Discordance between Sexual Behavior and self-reported Identity, Annals of Internal Medicine, 2006

(26.01.2009 auf arcados.ch – redaktionell bearbeitet am 26.2.13)

 

Literatur

Bell/Weinberg: Der Kinsey Institut Report über sexuelle Orientierung und Partnerwahl, 1981 (vergriffen, aber über zvab.de antiquarisch erhältlich!)

Ellis, Havelock, dessen „Studies in the Psychology of Sex“ zwischen 1896 und 1928 erschienen, hat viele Phänomene beschrieben, die erst Jahrzehnte später öffentlich diskutiert wurden: Jungen und Mädchen zeigen schon vor der Pubertät sexuelle Reaktionen; Selbstbefriedigung ist normal; Homo- und Heterosexualität lassen sich nicht absolut trennen, sondern existieren nebeneinander in verschieden starken Ausprägungen; Frauen können eine leidenschaftliche Sexualität haben; der Orgasmus von Mann und Frau ähnelt sich; Frauen können vielfache Orgasmen haben; Impotenz und Frigidität sind häufiger psychologisch als konstitutionell bedingt; sexuelle Repression bei Mädchen führt zur Frigidität bei Frauen. Selbstverständlich gehörte Ellis im London der Jahrhundertwende, wo Bücher und Theaterstücke mit Worten wie „Hemd“ oder „Korsett“ nicht veröffentlicht wurden, zu den verbotenen Autoren. (Eduard Fuchs, Illustrierte Sittengeschichte, München (1909),  Bd. 3, S. 123)

Hite, Shere: Hite Report, Das sexuelle Erleben des Mannes, 1978/1981 Sonderausgabe (vergriffen, aber über zvab.de antiquarisch erhältlich!)

Hite, Shere: Hite Report II, Die sexuellen Vorlieben und Praktiken des männlichen Geschlechts, 1978/1981 (Band 2 des Gesamtreports/Band 1: Frauen) (vergriffen, aber über zvab.de antiquarisch erhältlich!)

Hite, Shere: Erotik und Sexualität in der Familie, 1994/1996 (vergriffen, aber über zvab.de antiquarisch erhältlich!)

Kinsey Report, Das sexuelle Verhalten des Mannes, 1948/1970 (vergriffen, aber über zvab.de antiquarisch erhältlich!)

Masters/Johnson, Liebe und Sexualität (1982/1987), Ullstein 1987, (vergriffen, aber über zvab.de antiquarisch erhältlich)

 

Die notorische heterosexuelle Mehrheit  (04.03.2009, arcados.ch)

In unserer von Heterosexualität und Fortpflanzung (bei weitem nicht identisch!) geprägten Gesellschaft ist Homosexualität noch lange nicht so angekommen, wie es ihr gebührt. Wer die Sexualreporte der Vergangenheit genauer studiert und das Selbstbild dieser Gesellschaft ausblenden kann, der merkt bald, dass die Fassade schon alt, aber die Realität dahinter längst eine andere ist!

Ich kann mich noch erinnern an die 60er Jahre, in welchen propagiert wurde, dass Homosexualität eine Kindes- oder Jugendphase sei, die jeder mitmache, aber die vorübergehe. Die Homosexuellen waren demnach in dieser Phase steckengeblieben. Ständiges Thema war Männer-Sexualität in Gefangenschaft oder in Internaten… Dann gab es noch diese “Altershomosexualität”, welche irgendwelchen senilen Männern zugeschrieben wurde.

Die Sexualwissenschaft der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Homosexualität eine ebenso “reife” und vielgestaltige sexuelle Orientierung ist, wie die Heterosexualität. Aus dieser Erkenntnis ist zwar das politische Gesetz über die “Eingetragene Partnerschaft” (ePG) entstanden, aber die Lustqualität von homosexuellen Kontakten für die übrige Gesellschaft ist ebensowenig akzeptiert, wie früher der hetero Sex ausserhalb der Ehe.

Ein Drittel der User auf homosexuellen Kontaktplattformen sind hetero- und bisexuelle Männer jeglichen Zivilstandes. Und das sind nur diejenigen, die so keck sind, dies auch anzugeben. Es bleibt noch ein Dunkelfeld unbekannter Zahl.

Das Alter dieser “Lüstlinge” ist zum einen Teil von 16-26 und zu einem anderen Teil von 45-65 Jahre. Freuds Vermutung von der “polymorph-perversen” Sexualität scheint nach hundert Jahren belegt werden zu können. Diese Form wird während der Fortpflanzungszeit und den intensiven Ehejahren einfach “verdrängt” und erobert sich also danach bald wieder ihren Platz im Sexualleben.

Ich schreibe hier von den Männern. Die Homosexualität von Frauen hat einen anderen politischen und kulturellen Stellenwert. Frauen wurden nie gross wegen ihrer Gleichgeschlechtlichkeit verfolgt und “Lesbensex” ist eine etablierte “Sexualphantasie von Männern” geworden. Keiner weiss aber so richtig warum. Dies aufzuarbeiten ist aber Sache von Frauen/Lesben…

Fakt ist jedenfalls, dass nicht jeder Mann, der mit (einem) anderen Männern Sex geniesst auch “homosexuell veranlagt” oder gar schwul sein muss. Frauen haben auch Sex mit Männern und sind nicht schwul!

Zentrales Thema in der Heterosexualität ist eine sog. “Vereinigung” zweier Menschen, was anhand der Penetration und ideologisch an der “Vereinigung von Samenzelle und Ei” festgemacht wird. Urtümlich ist der Mythos von der ursprünglichen Doppeltheit des Menschen, der nach der gewaltsamen Trennung durch Götter gezwungen ist, seine zweite Hälfte zu suchen…

Fakt ist, dass jeder Mensch das Produkt aus zwei Geschlechtern ist. Also enthält er auch von beiden Geschlechtern biologische Elemente.

“Übersehen” dabei wird die gesellschaftliche Ebene der Partnerwahl sowohl zum anderen, als eben auch zum eigenen Geschlecht. Dass das nicht bis zum Tode sein muss, wissen wir inzwischen ziemlich alle. Doch wozu dient die Partnerwahl eigentlich – ausser der Fortpflanzung? Der heterosexuelle Akt ist keine Vereinigung, sondern eine Abgrenzung. Von der Diskriminierung der Schwulen her und der sozialen Bedeutung der Penetration her schafft Heterosex eine klare Hierarchie: Penetrierer und Penetrierte, die Urklassengesellschaft sozusagen. Diese strenge Trennung wird denn auch heute noch von monotheistischen Religionen verteidigt.

Der homosexuelle Akt ist hingegen eine Vereinigung im Sinne der Identität, des Einsseins mit dem eigenen Geschlecht und somit auch mit sich selbst. Ein “in den Spiegel schauen”, was in gegengeschlechtlichen Sexualkontakten und – beziehungen unmöglich ist. Dies geht über die Neugierde hinaus, wie denn ein andersgeschlechtlicher Partner das eigene Geschlecht – oder einem selbst – erleben kann. Soweit muss Frau gar nicht suchen gehen. Sie tut es aber vor allem im Hinblick auf die Macht, die sie allenfalls mit ihrer Sexualität über Andere hat – oder eben auch nicht! Hier ist die Anmerkung am Platz, dass viele PartnerInnen die homosexuellen Bedürfnisse des einen als Bedrohung erleben und es ihnen einen Grund gibt, die Beziehung total abzubrechen. Auch in diesem Zusammenhang wichtig ist die Information, dass 30 % der erreichten und befragten männlichen Bisexuellen in Australien lieber sich umbringen würden, als ihren Frauen davon zu erzählen. Wie schon gesagt, “Lesbensex” ist hingegen eine “allgemein attraktive Sexualphantasie” heterosexuell orientierter Männer.

Ich denke, wir sind alle – mehr oder weniger – zum Sex mit beiden Geschlechtern fähig. Es gibt tausend Gründe, es nicht zu tun. Aber auch einige wichtige Gründe es “trotz allem” zu tun. Und die gesellschaftspolitische Dimension zeigt sich darin, dass heterosexuell alle sein müssen, hingegen homosexuell muss niemannd/niefrau sein!

Peter Thommen, Schwulenaktivist, Basel

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