Zemann, selbstbewusst schwul!? (1991)

Zemans Buch ist ein wichtiger Angelpunkt in der Szene- und Selbstanalyse der 90er Jahre! Daher habe ich versucht, das Wichtigste in einer ausführlichen  Besprechung zusammenzufassen.

Hier das Inhaltsverzeichnis

Über die widersprüchliche Haltung zur Szene und zum Milieu schrieb Rolf Winiarski 1991 einen Text als Buchbesprechung zu Rolf Zemann: Selbstbewusst schwul, 1991. Das Problem besteht auch heute noch, wie ich finde! P. Thommen

Geliebte Sub – gehasste Sub

Anhand von sechs Lebensläufen schwuler Männer beschreibt der Nürnberger Psychologe die seelische Gratwanderung zwischen Schönheitszwang und Kommunikation.

Unter dem Titel „Selbstbewusst schwul!?“ wurde seine Diplomarbeit kürzlich veröffentlicht.

Alle gerieten einmal in die Bekenntnissituation“, in der sie das Schweigen brachen und sich als Schwule zeigten. Der Homosexuelle, der sich dazu „durchringt, muss sowohl gegen das Tabu an sich verstossen, als auch gegen die Regeln des Umgangs mit dem Tabu. Er wird eher auf Ignoranz als auf irgendeine andere Reaktion stossen.“ Die grosse Masse, befindet Zemann, „hat noch mehr Angst vor der Homosexualität als die Homosexuellen selber.“

Die Interviewten sagten dazu: „Meine Verwandten weigern sich einfach, es zu glauben. Ich habs meiner Pflegemutter gesagt. Sie sagt dann immer nur, das ist doch die Spinnerei von Psychologen. Komm’ lass uns von was anderem reden.“

Ein anderer: „Die Reaktionen waren mir egal, ich kam mir sogar kämpferisch vor. Die grösste Strafe war, wenn sie gar keine Reaktionen zeigten.“ Und eben das ist die Regel. Eltern wollen nicht wahrhaben, was für den Sohn längst unausweichlich scheint: Der Sprung in ein anderes Leben.

Das Festhalten am Liebesideal sieht Zemann als einen Hemmschuh, der zu besonderen Partnerproblemen führen kann. „Weil sie das Ideal nie erfüllen können, kompensieren sie diesen Mangel durch übertriebene Ordentlichkeit, Spiessigkeit und eine perfekte Haushaltsführung. Die Krönung solcher Ehekopien besteht darin, sich offiziell trauen zu lassen.“

Die homosexuelle Subkultur sieht Zemann als Befreiung und Einengung zugleich. Ohne Zweifel biete sie eine Möglichkeit, schwule Sexualität auszuleben. Andererseits setzt sie neue Normen: viele kommen mit dem Supersex der Sub nicht zurecht. Einer der Befragten berichtet: „Die Beziehung war so total sexuell, halt im Grunde nicht mehr als das. Negativ war, dass er total unehrlich zu mir war, eben mit zwei Leuten eine Beziehung hatte. Ich hatte das Gefühl, dass ich es nicht packe. Ich denke schon, dass es ein ganz schön ausbeuterisches Verhältnis war.“

Wie viele hätte Albert sich zu Beginn seines Schwulseins gewünscht, „dass mich einer an der Hand nimmt und mich einführt“ – ins schwule Leben. Viele haben das Gefühl, in eine Welt „hineingestolpert“ zu sein, für die sie noch nicht genügend ausgereift waren, um eigene Wünsche und Massstäbe auszubilden.

Andere finden Distanz zur Sub: „Wenn ich irgendwo hingehe, fühle ich mich nicht besonders wohl. Ich habe in meinem Alltag genügend Möglichkeiten. Ich kann auf bestimmte Art und Weise schwul leben wo ich nicht die Unterstützung brauche so von der Ghettowelt.“ Armin fühlt sich mehr zu Gruppen hingezogen, die gemeinsame Interessen verfolgen. „Für sein homosexuelles Selbstverständnis ist es offenbar nicht ausreichend, in einem abgeschlossenen Raum Sexpartner zu finden.“

Aber auch er veränderte seine Einstellung: „Das Nehmen und wenig investieren wollte ich schon lernen und ich glaube ich komm auch wesentlich besser damit zurecht. Vielleicht bin ich in einer gewissen Weise jetzt abgehärtet und ich seh das jetzt realistisch.“

Zemann meint, dass zwischen den Extremen der völligen Sexualisierung und dem versteckten Dasein vor dem coming out ein individueller Weg zwischen „Versuchung und Abstossung“ gefunden werden muss. „Bedingt durch ein Nachlassen der ewig gleichen Reize wird die Subkultur zunehmend weniger als Befreiung, sondern als Unterjochung und Entmündigung erlebt.“

Erich beschreibt seinen Weg: „Ich habe mir zur Gewohnheit gemacht, nicht mehr wegzugehen, wenn es mir schlecht geht, weil ich dann den Drang habe, jemanden anzumachen. Das letzte Mal hatte ich ein ganz mieses Gefühl dabei.“

Dem sei – so Zemann – „bewusst geworden, dass die sexuellen Kontaktmöglichkeiten über die Subkultur keine wirkliche, dauerhafte, soziale Stütze sein könne.“

Ein anderer findet „den ganzen Bestätigungsschlamassel zum Kotzen.“ Es werde in der Sub dauernd versucht, einen Keil in seine Zweierbeziehung zu treiben: Er habe gar das Gefühl, er und sein Freund würden von seinem heterosexuellen Bekanntenkreis „als Paar eher akzeptiert werden als in den schwulen Kreisen.“ – kein gutes Renommee für die mühevoll erkämpften Freiräume schwulen Lebens.

Das Problem jedoch ist nicht die Sub selbst, sondern der Umgang mit ihr. Erich beschreibt, wie er langsam dazu kam, die Sub zu benutzen „und nicht umgekehrt.“ Er gehe „für kommunikative Bedürfnisse“ in die Sub: „Ich sehe Leute, die ich kenne und führe dort auch substantielle Gespräche, kein oberflächliches Geplänkel. Oder ich gehe zum Abspannen dorthin.“

Die Sub ist Bestandteil seines schwulen Lebens, ohne dass er sich „dem Jugend- und Schönheitsideal“ unterordnet. „Es besteht ein Zwang, sich dem unterzuordnen, ein Druck ist da, dem man sich kaum entziehen kann. Es ist wichtig, dass ich nicht über die Sub schwul lebe.“

Zemann sieht ein zwiespältiges Verhältnis: Einerseits werde in Gesprächen mit Homosexuellen die Unabhängigkeit von der Subkultur betont. Andererseits sei die Subkultur aber auch nicht ersetzbar, was der Trend, in die Grossstadt zu ziehen, zeige. Trotz der unbefriedigenden Gefühle scheint es „kaum jemandem möglich, diese reduzierten Mechanismen der Subkultur zu verändern.“

Zur Lösung dieser „Hassliebe“ müsse „die Rolle der sexuellen Bestätigung“ für das Leben des Einzelnen geklärt werden: „Damit die Kontaktaufnahme mit anderen Homosexuellen nicht zu einem durch starre Regeln eingeengten Puppenspiel wird.“ (Rolf Winiarski, in Gay-Express, ?/1991, S. 26-27)

Ausleihbar in der Zentralbibliothek Zürich und im Sozialarchiv Zürich!