Gelegenheit macht Liebe – und schwul?

Zwei Buchbesprechungen von Geschichten, die ich einer spezifisch weiblichen Sichtweise zuordne. Auch wenn die Schreiber schwule Männer sind!   Marty Tolstoy und Manuel Sandrino

Ein junger Mann schlägt sich mit Zeitarbeit und mit seiner Wohnpartnerin herum. Die beiden sind zwar kein Paar, könnten aber auch Geschwister sein. Diese beste Freundin versucht auch, den träumenden Jan fürs Zusammenleben tauglich zu machen, was ihr aber nicht so gelingen will.

Anlässlich eines Abendspaziergangs in die Schwulenkneipe – in einem vorstädtischen Ort – trifft Jan auf einen schönen Prinzen, der alle die Sehnsüchte in ihm weckt, die bisher wohl unbewusst in ihm geschlummert haben. Nach einem romantischen Tête-à-Tête-Tanz zu einem schmusigen Song verliert er ihn aber wieder aus den Augen.

Überraschend macht er bei einer Prügelei um seine Freundin wieder Bekanntschaft mit diesem Marco, der jetzt sein Leben mitbestimmt. Dieser hat ihr die Brieftasche geraubt, die er später findet und das bringt seinen Verehrer in schmerzende Gefühlszweifel und moralische Bedenken. Es wird ein coming out dieser Verliebtheit gegenüber dem Opfer – seiner besten Freundin – fällig. Der erste Band dieser Geschichte endet mit der unverhofften Begegnung als Zeuge vor Gericht und dann noch mit dem Besuch im Gefängnis.

Der zweite Band beginnt mit der ersten ernsthaften Arbeitsstelle für den Bürokaufmann, der immer noch im Haus seiner Freundin lebt. Nach der Vorstellung beim Chef steigt in ihm die beängstigende Ahnung hoch, dass der ehemalige Märchenprinz aus dem Knast ihn bei sich in der Firma angestellt hat. Und er muss sich gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und der männlichen Konkurrenz bewähren. Durch eine mustergültige Präsentation erhält er Zutritt zum Marketing der Firma und stösst auch hier wieder auf unmoralisches Verhalten seines verehrten Marco, für den er alles tun würde…

Beim Lesen dieser Geschichte beschlich mich selber auch eine beklemmende Ahnung! Nämlich, dass das ganze von einem weiblichen Gehirn ausgedacht worden ist. Der junge Jan scheint nur unter weiblichen Fittichen zu leben und wird nur durch Zufall auf die ganze Welt draussen aufmerksam. Normalerweise bringen Jungs in dem Alter schon ein ganzes Beziehungsnetz daher, egal ob Heteros oder Schwule. Und sie haben bereits sexuelle Erfahrungen, die Jan völlig zu fehlen scheinen! Es geht vor allem um Liebe, Schmusen und Gefühle in diesen Geschichten. Es scheint mir eine Welt der Mädchen und Frauen zu sein, in der auch ein Schwuler wie ein Mädchen ganz jungfräulich sich in den „Richtigen fürs Leben“ verknallt und dafür noch von einem bösen Schicksal geplagt wird. Ein richtiges Märchen also, das nur durch Zufall hinter den Türen eines alten Kastens auf dem Dachboden gefunden wird. Peter Thommen_61

Marty Tolstoy: Gelegenheit macht Liebe/Diebe, Band 1, Shaker Media 2010, 240 S. und Band 2, 274 S. Eigenverlag o.J. beide ca. 14 €uro

 

P.S. Ich habe die Bücher einer erfahrenen Frau (Fussballfan, Fasnachtsclique)  zum Lesen gegeben und auch sie konnte sich des Eindrucks einer weiblichen Autorinnenschaft nicht erwehren. Auch wenn der Autor in Wirklichkeit ein Mann ist, ändert das nichts an meinem Eindruck! Weitere Details offenbart die hp des Autors!

Ich habe schon vor einiger Zeit das Buch von Manuel Sandrino: Selbstverständlich schwul (eine fantasierte Geschichte um eine schwule Schule in den USA) schon in der Mitte aus der Hand legen müssen, weil sich die Geschichten für mich um einen Mann drehten, der eigentlich eine Frau spielt unter Männern, wenn auch schwulen. Das mag interessant für die Genderforschung, aber nicht für die Biografie eines jungen Schwulen sein. Wem es gefällt, sei diese Art von Unterhaltung durchaus empfohlen.

Selbstverständlich schwul

Timmy ist ein verklemmter, schwuler 20-jährigerer. Entschlossen seine Hemmungen in den Griff zu kriegen, besucht der Schweizer für sechs Wochen eine Schule in San Francisco, die mit Selbstverständlich schwul! wirbt.

An der Schule und im San Francisco Mitte der 80er- Jahre entdeckt Timmy nicht nur das Geheimnis der Erotik, sondern vor allem einen ganz neuen Sinn im Leben. Nicht nur in der Theaterklasse, sondern auch in Mythologie schlüpft er in immer neue Rollen.

Immer neue Herausforderungen treiben ihn vorwärts: erst seine Hemmungen, dann seine tiefsten Ängste zu überwinden. Dabei gewinnt er nicht nur Freunde. Oft erstarrt Timmy in Angst bei dem, was alles auf ihn zukommt, stolpert aber trotzdem stetig vorwärts in immer verrücktere Gelegenheiten zu wachsen, sich zu blamieren und Antworten auf seine drei alles motivierenden Fragen zu finden: Was bin ich? Wer bin ich? Warum bin ich so, wie ich bin?

Der Süden Kaliforniens bietet so viel Neues und Aufregendes: als Statist in einem Film mitzumachen, eine spontane Show am Muscle Beach in Venice und als sich Timmy für eine Massage als Model zur Verfügung stellt, wird er unfreiwillig Lehrobjekt bei einem Tantra-Seminar. Aber vor allem Mythologie und Museumsbesuche eröffnen Timmy eine neue Welt, die immer mehr sein Denken und Fühlen beeinflusst. Erotik öffnet ihm neue Türen. (aus den Verlagsinfos)

„Das Buch ist voller Erotik und Fantasie. Jedes einzelne seiner Erlebnisse lehrt Timmy etwas Wichtiges. Timmy ist jemand, der nicht einfach glaubt, sondern durch hinterfragen, ausprobieren, beobachten und zuhören lernt. Er stürzt sich in die Abenteuer, auch wenn eer oft vor Angst fast erstarrt.“

„Was ist Erotik anderes als, als seine Fantasie kreativ zu nutzen?“

„Erstaunlicherweise erhalte ich speziell von Frauen, Müttern und Schwestern Feedbacks, wie das Buch ihnen neue Türen zur oft verschlossenen männlichen Psyche eröffnet.“

„Wie gehen schwule Männer miteinander um? Vieles ist bewusst zwischen den Zeilen belassen, oder nicht beschrieben.“

„Ein spannender Roman über einen kleinen Teil einer von vielen Männerwelten.“ (Worte des Autors)

Ich habe das Buch bis zur Hälfte gelesen. Dann ist mir klar geworden, dass dieser Timmy kein Schwuler ist. Ich war immer wieder irritiert über gewisse Ereignisverläufe, Gedanken und Rollenspiele. Halb zog es ihn, halb fiel er hin…

Das Buch ist eine Fantasie und Timmy spielt eigentlich die Frauenrolle in einer homosexuellen Welt, es könnte geradesogut von der besten Freundin eines Schwulen geschrieben worden sein. Wems gefällt, dem sei’s empfohlen!  Peter Thommen_60, Schwulenaktivist (publ. auf gaybasel.ch)

Manuel Sandrino: Selbstverständlich schwul, (PDF) Himmelstürmer 2008, 370 S. CHF ca. 26.-

Ein weiteres Jugendbuch mit ziemlicher „Mädchenperspektive“ ist

Edvard van de Vendels: Die Tage der Bluegrass-Liebe, Carlsen 2009  (Bd.1) 

Die langen Nächte der Stille, Carlsen 2009, 390 S. ca CHF 21.-  (Bd.2)

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