Die „Homo-Gaststube“ als Ersatz für die Familie – seit 1963 (tageswoche 2017)
1983 haben die Linken in den Homosexuellen Arbeitsgruppen der Schweiz die heterosexuelle Familie „zu Grabe“ getragen. Es war von der „schwulen Familie“ die Rede. Heute ist der Begriff veraltet, denn es gibt schwule Familien – mit Kindern! 😉
In Basel durften Bars für Schwule und Lesben an ALLEN Feiertagen offen haben, damit sie einen Ort hatten, um mit ihren FreundINNen und PartnerInnen diese Tage verbringen zu können.
Im Hirscheneck ist seit 1989 und dann an jedem 25. Dezember auf Initiative von Ronnie ein „Tuntenball“ entstanden, der ein Stück „Familie“ aufleben liess (inzwischen aufgegeben). Darsteller alle aus „eigenem Boden“.
Ab den Anfangsjahren der AIDS-Krise durften alle Basler Gaylokale die Regenbogenfahne gebührenfrei hinaushängen – als Zeichen des Willkommens für HIV/AIDS-Betroffene in der Szene.
Selbstverständlich konnten alle Gays und Lesben, die sich zugehörig fühlten – wenn auch nur temporär (!) – teilnehmen. Auch Heteros waren nicht ausgeschlossen.
Die Homosexuellen Arbeitsgruppen in der Schweiz waren lokal organisierte Vereine, die ebenfalls die Funktion einer Familie hatten. Bürgerliche Schwule waren da aber nicht viele anzutreffen! 😉
In seinem Buch „Buddies“ (Freunde) hat Ethan Mordden ein eindrückliches Vorwort geschrieben, das ich nachfolgend zitiere. (Bilder des Autors > google)
Leider ist nur dieser Text ins Deutsche übersetzt worden.
Einleitung zu Buddies/Gay and the City
„Die Franzosen neigen dazu, über Manieren zu schreiben, die Deutschen über Wissen, und die Briten über Sex. Amerikaner schreiben über Familien, insbesondere schwule Amerikaner. Somit ist der bedeutendste Beitrag des schwulen Schriftstellers zur Literatur – der Bildungsroman, der von wachsender Selbsterkenntnis und vom coming out erzählt, im wesentlichen ein Familienroman.
Und eine weitere Erfindung geht auf das Konto schwuler amerikanischer Schriftsteller: Die New York Camp-Surreal Romance. Typisch für diese literarische Ausprägung ist die Beschreibung einer verzweifelten Flucht vor der Familie, sowie die Sehnsucht, soziale Beziehungen allein selbstbestimmt zu knüpfen und zu pflegen. Dennoch schleicht sich die Familie, gewollt oder ungewollt, immer wieder in den Text ein, sei es in Form von verträumten Passagen oder reumütigen Anspielungen. Man könnte meinen, im Zentrum schwuler Prosa, und dazu zähle ich ebenso – und vielleicht sogar insbesondere – Pornografie, stünden Väter und Brüder. Im Roman tauchen sie als Fremde oder Gefährten oder Liebhaber auf, auch wenn sie hier selbstverständlich maskiert und idealisiert sind.
Das menschliche Bedürfnis nach Romantik, nach erotischer Anziehung, gehört zu den Grundlagen des Geschichtenerzählens. … Überall in unserem Alltag umgibt sie uns, sie liegt in den flüchtigen Berührungen vorbeiziehender Paare, in den Skandalen und Hochzeitsanzeigen der Zeitungen, in Dankesansprachen bei Preisverleihungen. Daher sind die jüngeren und weniger weltgewandten Schwulen überrascht, wenn Heteros schon bei der geringsten öffentlichen Andeutung schwuler Romantik Verärgerung zeigen. Schwule glauben, es gibt genug Platz für alle; die meisten Heteros machen dagegen nur unter der Bedingung Platz für Schwule, dass diese vorgeben, gar nicht zu existieren. Seiner Ehefrau für ihre Unterstützung zu danken, ist völlig normal; einem männlichen Liebhaber zu danken, ist ein subversiver Akt.
Und doch, trotz des Mangels der Heterosexuellen an Verständnis und ihrer unumwundenen Intoleranz gegenüber Schwulen, verstehen Schwule die Heteros, denn egal wie unsere Orientierung sein mag, wir alle wachsen als Teilnehmer der heterosexuellen Kultur auf. Man kann von Geburt an homosexuell sein, doch schwul ist man erst, wenn man willentlich die schwule Welt mit ihrer ganz eigenen Kultur betritt. Schwule verstehen Heteros, aber Heteros verstehen Schwule nicht mehr, als Weisse die Schwarzen verstehen, oder New Yorker die Kalifornier, selbst wenn sie in bester Absicht handeln. Das Schwule ist eine einzigartige Minderheit: streng fakultativ. Sträubt man sich in dem Augenblick, in dem man Farbe bekennen soll, dann erfährt womöglich niemand, wer man wirklich ist. …
Wenn sich also die schwule und die heterosexuelle Welt berühren, dann nur in der auf Erfahrung beruhenden Sensibilität der Schwulen. Doch haben die beiden eine entscheidende Gemeinsamkeit: das Bedürfnis nach Freundschaft und nicht-erotischer Zuneigung: nach einem wahren Kameraden, einem Kumpel. … Das amerikanische schwule Leben hat – in etwas, das ich seinen fesselndsten Ikonoklasmus bezeichnen würde, die heterosexuelle Verbindung von Romantik und Freundschaft übertroffen. Dein Liebhaber ist dein Kumpel – und wer weiss, ob nicht die Vater- oder Bruder-Liebhaber dazu gedacht sind, die einzigen lebenslangen Beziehungen zu erotisieren, ebenso wie dazu, die weniger dauerhaften Beziehungen des Liebeslebens zu lindern: um Wildheit und Sanftheit, Rivalität und Bündnis gemeinsam in Einklang zu bringen. …
Wenn in Boston die Arbeit an erster Stelle steht, in San Francisco der Sex und in Los Angeles das Geld, dann kann New York sich nicht entscheiden. Die Stadt braucht alle drei zugleich, und meine Figuren brauchen das auch. Doch eines benötigen vielleicht mehr als alles andere: Kameradschaft.
Ich habe Männer gekannt, deren Bedürfnisse sie in eine Vielzahl von sexuellen Abenteuern mit Männern getrieben haben, die sie kaum kannten (je weniger, desto besser), und Männer, denen eine sexuelle Kommunikation allein durch persönliche Gefühlstiefe möglich war. Männer, die alles tun würden, ausser küssen, und Männer, die kaum etwas anderes taten. Männer, die bei allem mitmachten, und Männer, die sich nur selbst berühren konnten. Doch alle waren sie unterwegs in der Szene, und behandelten die Metropole als ihren persönlichen Club der einsamen Herzen. Manchmal glaube ich, sie suchen jemanden, der besser ist als sie; manchmal denke ich, nein, sie suchen sich selbst. Und zuweilen sind beide Suchen eins. Genau das ist es, was unsere Zeit interessant macht.“ (kursive Hervorhebung von pt)
aus Ethan Morddens Einführung zu seinem Buch
Gay and the City) („Buddies“), Gmünder 2008/1986, 250 S. (antiquarisch) Dieser Meilenstein der schwulen Literatur beschwört die Freundschaften, die schwule Männer schliessen, ob sie nun mit oder ohne Sex beginnen oder ganz ohne Sex auskommen. Mit spitzer Zunge und scharfem Blick beschreibt Ethan Mordden das schwule Leben in Manhattan, wo der exzentrische Erzähler Hof hält und über die Verwicklungen im Leben seiner Freunde berichtet – vom unerschütterlichen Dennis Savage und seinem Partner Little Kiwi, der stets in Begleitung seines nervenden Hundes ‚Bauhaus‘ auftaucht; vom attraktiven Carlo, Inbegriff des muskulösen ‚Hunk‘; und von vielen anderen, die sich finden, um festzustellen, dass ihre geradezu verschworene Gemeinschaft das größte Geschenk ist, das sie sich gegenseitig machen können. (aus amazon)