Als ich jung war, zuckten alle älteren Schwulen bei „diesem Wort“ zusammen. Sie verwendeten lieber „homophil“. Oder das Fachwort „homosexuell“, welches ein Bastard aus griechisch homo = gleich und lateinisch sex/secare = teilen ist. Schwul ist ein urdeutsches Wort für Glimmen und hat mit der Wärme zu tun. Neustens ist das Wort in der Heteroszene gleichbedeutend wie schlecht, blöd, etc.
Neger ist „politisch nicht korrekt“? Trotzdem dürfen wir Negro-Spirituals singen und hören, ohne dass wir jemanden diskriminieren. Zu den „Schwarzen“ werden aber nicht nur Afrikaner gezählt, sondern auch Neger, die auf anderen Kontinenten und mit unterschiedlich dunkler Hautfarbe geboren worden sind. Südafrika hat nicht nur schwarze, sondern auch viele „weisse“ Bürger. Niemand fragte sich früher, ob es auch schwule Neger gibt. Zum Beispiel James Baldwin. Aber nicht alle Schwarzen sind „schwul“ und nicht alle Neger sind schwarz. Also liegt das ferner der Realität.
Werde ich nicht auch heute noch als Schwuler immer wieder „zum Neger“ gemacht? Und warum muss ich mit dem Wort Neger unbedingt politisch „in Schwulitäten“ kommen? Wir bewahren doch damit historische Realitäten in unserer Sprache auf!
Ich bin dafür, dass wir die Wörter nicht diskriminierend verwenden, aber auch nicht politisch-zensurierend. Schwul ist zu einem guten Wort geworden. Durch die Schwulenbewegung, nicht durch Wowereit!
Wieso soll Neger ein schlechtes Wort werden/sein? Immerhin hat ein afrikanischer Staatsmann den Begriff der „négritude“ für seine Auffassung von emanzipierter afrikanischer Kultur geschaffen. (négritude) (Aimé Césaire/L. S. Sénghor)
Wöchentlich „ersaufen“ hunderte von „Schwarzen“ aus Afrika im Mittelmehr. Ist das kein Rassismus?
Peter Thommen_56, Schwulenaktivist
Wörter sind nicht gut oder schlecht, Gespräch im MDR 4’18
Nachtrag und Wortbeispiel: „Der Begriff des Intellektuellen taucht an einigen Stellen schon zu Beginn des 19. Jh. auf – als Adjektiv sogar schon gegen Ende des 17. Jh.; als solches ist er um 1800 ein viel verwendeter Begriff. Seine politische Tragweite erlangt das Wort „Intellektueller“ aber erst mit der „Dreyfus-Affäre“, die sich von 1894 bis 1899 hinzog. Diente der Begriff zunächst zur Beschimpfung der Dreyfus-Verfechter, die sich – allen voran Emile Zola – für die Rehabilitierung des Offiziers Alfred Dreyfus einsetzten, so sollte sich dies im weiteren Verlauf ändern. Dreyfus, ein Elsässer und einziger Jude im französischen Generalstab, war zu Unrecht des Landesverrats beschuldigt und verurteilt worden – und in Frankreich wurde der Begriff „Intellektueller“ zum Leitmotiv einer Schlacht um den „Rechtsstaat“, bei der zuletzt dessen Verfechter den Sieg davontrugen. Im Verlauf dieser Debatte gelang es denen, gegen die sich das Schimpfwort „Intellektueller“ richtete, ihn positiv umzuwerten. Die Auswirkungen dieser Umdeutung sind in Frankreich bis heute spürbar. Das französische Nationalgefühl des späten 19. Jh. bildete sich nicht gegen die Intellektuellen heraus, obgleich die Dreyfus-Verurteilung mit ihrem Vorwurf des „Verrats am Vaterland“ und ihren antisemitischen Schlagworten genau darauf abzielte. Vielmehr gelang es den Verfechtern von Dreyfus, den Begriff des Intellektuellen mit Bedeutungen zu füllen wie: „demokratisch“, „Gewissen“, „wissenschaftlich“, „progressiv“ und „politisiert“ (heute würde man sagen: „engagiert“). Mehr noch: Es gelang ihnen, mit diesem „Fahnenwort“, das in Frankreich nicht minder emotional geladen war als in Deutschland, ein gruppenkonstituierendes Zeichen für die Nation zu setzen. Dietz Bering stellt deshalb zu Recht die Frage, ob „die unterschiedliche Geschichte der deutschen und der Französischen Version des Faschismus nicht auch aus diesem Punkte erklärt werden könnte.“ (von Braun, Christina: Über den Schwindel, Religion, Schrift, Bild, Geschlecht, Pendo 2001, S. 467)
Nachtrag 2: „Die unheimlichste Folge ist aber wohl die Haltung der Antillenneger gegenüber ihrer eigenen Rasse. Das Problem der schwarzen Haut wurde in die Rasse selbst hineingetragen. Gesellschaftlich nimmt der Neger, der eine hellere Hautfarbe hat, bei seinen Mitnegern eine höhere Stellung ein. Diese Verleugnung der eigenen Natur ist die tiefste Wunde, die sich die Antillenneger schlagen liessen.“ (Hugo Loetscher in seinem Buch „War meine Zeit meine Zeit“, 2009, S. 77. Zitiert aus einem früheren Text über die Antillen in der Zeitschrift DU)
Pingback: Eine Tucke führte uns Tunten und Trash vor « Thommens Senf ab 2010, 2012
Pingback: Homo-Ehe, Liebe Geschichten… « Thommens Senf 2013