Spätes coming out aus dem heterosexuellen Exil
Helga Boschitz hat mit Frauen und Männern zwischen 38 und 86 über deren innere und äußere Konflikte und über das Glück der späten Selbstfindung gesprochen. Expartner, Kinder, Freunde und Kollegen berichten, wie sie mit der veränderten Realität umgehen, neue homosexuelle Partnerinnen und Partner beschreiben den behutsamen Einstieg in ein unbekanntes Umfeld.
Die Gespräche machen Mut, den eigenen Weg zum »richtigen« Lebensgefühl zu suchen. Ergänzt um Erfahrungsberichte von Beratern und Therapeuten sowie Literaturhinweise und Adressen im Anhang, bietet dieses Buch Betroffenen Unterstützung und Orientierung beim späten Coming-out.
Helga Boschitz: Es fühlt sich endlich richtig an, Linksverlag 2010, 200 S. € 14.90 (ca. CHF 19.90)
Nach vorsichtiger Schätzung leben in Deutschland eine Million Männer in zwei Welten: Sie sind verheiratet, haben Kinder und führen parallel dazu eine homosexuelle Beziehung. Der gesellschaftliche Druck und die Angst, ihre Familie zu verlieren, hindern sie oft jahrelang daran, sich zu offenbaren.
Für viele Frauen bricht mit dem Coming-out des Partners dann eine Welt zusammen. Sie müssen sich durch ein Gefühlschaos kämpfen, denn nicht nur Gegenwart und Zukunft ihrer Partnerschaft sind in Frage gestellt, sondern auch die Vergangenheit erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Außerdem stehen sie vor der Frage, ob und wie weit sie die Kinder einweihen sollen.
Zum ersten Mal schildern betroffene Frauen und Männer ihre Konflikte und berichten, wie sie diese Lebenskrise in kleinen Schritten bewältigt haben.
Bettina von Kleist: Mein Mann liebt einen Mann, Linksverlag 2003, 184 S. € 14.90 (ca. CHF 19.90)
Im Alter von 43 Jahren erlebt Bastian Brisch – verheiratet, zwei Töchter, im kirchlichen Dienst – sein Coming-out. Das was 1985. Schritt für Schritt ging es einem neuen Leben entgegen, doch der innere und äußere Druck waren enorm. Manche Leser fragten sich: Ist das wirklich der Bericht einer Emanzipation – oder der ihres Scheiterns?
Zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung seiner Lebensgeschichte denkt Brisch in einem Nachwort zur Neuausgabe über vieles noch einmal nach. Weil sich die äußeren Verhältnisse verändert haben, rücken andere Aspekte in den Mittelpunkt: das unausweichliche Drama, erst ein „falsches Leben“ gelebt und dann verinnerlichte, eigene Werte verraten, nahe Menschen im Stich gelassen zu haben. Und selbst im Stich gelassen worden zu sein.
Bastian Brisch: Seitenwechsel, Männerschwarm 2000, 168 S. € 12.- (ca. CHF 15.60)
Wie sich das Leben eines Menschen auf dramatische Weise ändern kann, erzählt Joachim Klinkenberg augenzwinkernd in seinem ernsten, heiteren, ehrlichen Buch. Der verheiratete Familienvater, der sich mit knapp 40 Jahren zu seiner sehr spät entdeckten Homosexualität bekennt und ganz von vorne beginnt, erzählt teils humorvoll, teils gefühlvoll, aber immer ehrlich den Weg in das neue Leben, ohne sein altes zu verleugnen.
Er erzählt von den Schwierigkeiten, der Liebe zu seinen Kindern und den Zweifeln, aber auch von Aufbruch, Spiritualität und bemerkenswerten Begegnungen. Er erspart sich dabei nichts, beschreibt aber auch die Mechanismen und seine persönlichen Erlebnisse in der schwulen Welt. Im Dialog mit seiner besten Freundin entstand dieses lesenswerte und immer optimistische Buch seiner Jahre nach dem Coming-Out.
Trotz aller Probleme, die dieses Outing neben den freudigen Erfahrungen auch mit sich brachte, möchte Joachim Klinkenberg den Menschen Mut machen, zu sich selbst zu stehen:
„Liebt euch selbst,
dann liebt ihr auch die anderen!
Traut euch selbst,
dann traut ihr auch den anderen!“
Joachim Klinkenberg: Seitenwechsel – coming out mit 40, AvGoethe LitV 2010, 250 S. € 12.40 (ca. CHF 20.-)
Hier die Bücherliste als PDF zum ausdrucken
Nachtrag, Dorit Zinn: Mein Sohn liebt Männer, MS 2008 (überarb. NA), 126 S. CHF 18.-
Der erste Teil dieser Geschichte entstand schon 1992. Dort beschreibt sie, wie sie ihren Sohn neu kennen und begreifen lernt. Nach 15 Jahren erfahren wir den weiteren Verlauf. So entstand eine interessante Langzeitstudie.
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Siehe auch meinen Essay „Heterosex – wie funktionierts? – übers späte coming out“